1. Kapitel
Jonathan zählte das Bündel Scheine genauestens ab und packte es sorgfältig zu den anderen in den Tresor. Geschafft. Für heute würde er endlich den Feierabend genießen können. Der lange Arbeitstag in der Bank hatte ihm schwer zu schaffen gemacht und jede weitere Tätigkeit an diesem Ort hätte ihm heute noch den letzten Nerv gekostet. Er packte seine Sachen zusammen und wartete am Ausgang auf seine Frau Anita. Sie musste lediglich Ihren Schreibtisch noch in Ordnung bringen. Das vibrieren Ihres Handys unterbrach abrupt ihre Arbeit. Auch Jonathans Handy gab Laute von sich. Was um alles in der Welt wollte man denn nun schon wieder von Ihnen. Nach einem kurzen Seufzer nahm Anita das Gespräch schließlich entgegen. Jonathan konnte nur Vermutungen bezüglich des Anrufers anstellen. Doch Anitas Blicke und Ihre Mimik verrieten, dass am anderen Ende anscheinend nichts Gutes zu vernehmen war.
Es dauerte nicht lange und Anita beendete das Gespräch. Sein nahm ihre Tasche und bewegte sich blitzartig auf den Ausgang zu. Jonathan wusste nicht was in seine Frau gefahren war. Doch bevor er ihr auch nur eine seiner vielen nun aufgekommenen Fragen stellen konnte, entgegnete ihm seine Frau mit den Worten: „Unsere Tochter Jennifer ist entführt wurden. In aller Öffentlichkeit. Vor unserem Haus. Wir müssen sofort nach Hause!“
Als Jonathan diese Worte vernahm, wurde ihm für einen Moment übel und alles drehte sich um ihn herum. Anita nahm ihn bei der Hand und zerrte Ihn in den Wagen. Vor lauter Nervosität ließ sie den Autoschlüssel fallen. Schließlich setzte sich der Wagen in Bewegung.
Vor Ihrem Haus tummelten sich die Schaulustigen. Der Wagen kam kaum vorwärts. Einige Male musste Anita scharf bremsen, sonst hätte sie einen der Leute auf Ihrer Windschutzscheibe mitgenommen.
Das Haus war umringt von unzähligen Polizisten. Anita und Jonathan verließen den Wagen so schnell sie nur konnten und liefen aufgeregt auf ihr Haus zu. Erleichtert erblickten beide ihre zweite Tochter Melissa, die zusammengekauert und mit tränenüberlaufendem Gesicht in einer Ecke des Sofas saß und einem Officer einige Fragen beantwortete. Als sie ihre Eltern erblickte, schob sie sich an den vielen Polizisten im Wohnzimmer vorbei und fiel ihnen in die Arme.
Ein Augenzeuge hatte vernommen, dass Jennifer auf dem Weg ins Haus war, als sich plötzlich ein Lieferwagen näherte. Ein Mann mittleren Alters stieg aus dem Wagen und schlug Jennifer nieder. Daraufhin transportierte er sie in den Wagen und fuhr schleunigst davon. Der Augenzeuge konnte den Entführer jedoch nicht richtig identifizieren, da er einfach zu weit vom Geschehen entfernt gewesen war.
Benommen und fast wie von Sinnen standen Anita und Jonathan in ihrem Wohnzimmer. Keiner von beiden wusste, was er sagen sollte. Die Fragen einer der Polizisten vernahmen sie erst gar nicht. Stattdessen machte sich Jonathan auf den Weg in Jennifer Zimmer. Vielleicht würde er dort einen Anhaltspunkt dafür finden, weshalb man seiner Tochter so etwas Unvorstellbares antat. Er blickte sich in Ihrem Zimmer um. Alles sah für ihn aus wie immer. Auf Ihrem Schreibtisch unter dem großen Fenster stapelten sich Bücher über Bücher. Jennifer hatte sich seit er denken konnte, immer für außergewöhnliche Themen interessiert. Sie informierte sich regelmäßig über Satanskulte, Vampirismus, Totenkult und dem Glauben an das ewige Leben. Jennifer sprach in letzter Zeit von nichts anderem. Völlig begeistert hatte sie ihrem Vater stundenlang Geschichten erzählt, ohne dabei sein kaum vorhandenes Interesse für all diese Dinge zu bemerken. Das Zimmer war unordentlich und unsauber. Der Mülleimer neben dem Schreibtisch quoll über. Jonathan bewegte sich auf diesen zu und entleerte ihn auf dem Boden. Mit welchem Thema hatte seine Tochter sich zuletzt beschäftigt. War es eventuell Brisant genug um sie zu entführen? Einer der Polizisten betrat den Raum. Als sein Blick auf Jonathan fiel, bewegte er sich auf Ihn zu und versicherte Ihm, das man das Zimmer bereits auf Hinweise untersucht hatte. Doch Jonathan ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. Als würde sein eigenes Leben davon abhängen, faltete er jedes der einzelnen Papierseiten aus dem Mülleimer sorgfältig und vorsichtig auseinander. Als Jonathan den gesamten Inhalt auf dem Boden verteilt hatte, konnte er seinen Augen kaum trauen. Auch der Polizist, den er gar nichts richtig wahrgenommen hatte, blickte wie hypnotisiert auf die ihm vorliegenden Papiere. Warum ist diese schiere Unglaublichkeit niemanden bei der Durchsuchung aufgefallen? Auf jedem der nahezu 50 Zettel stand nur ein einziges Wort geschrieben. OSIRIS.
2. Kapitel
Nach Stundenlangen Befragungen und Durchsuchungen kehrte wieder Ruhe in das Haus ein. Die Polizei war wieder verschwunden. Melissa und Anita versuchten Ruhe zu bewahren und einen klaren Kopf zu bekommen. Lediglich Jonathan war in voller Aufruhr. Er nahm sich den Polizisten Eric und seine Tochter Melissa zur Hand und recherchierte den Begriff Osiris, den Jennifer ununterbrochen niedergeschrieben hatte.
Entsprechend Jennifers Vorlieben für die Themen Wiedergeburt, Totenkult und das ewige Leben ergab die gemeinsame Recherche nur ein schlüssiges Ergebnis. Osiris war der ägyptische Gott des Jenseits, der Wiedergeburt, der Fruchtbarkeit und des Todes. Der Sonnengott Re gebar einst die Zwillinge Schu und Tefnut. Diese beiden Kinder vereinigten sich und gebaren Geb und Nut. Diese beiden brachten gleich vier Nachkömmlinge zur Welt. Osiris, Isis, Seth und Nephthys. Osiris wurde von seinem Bruder Seth aus Neid ermordet und in den Nil geworfen. Isis, seine Schwester und zugleich Gemahlin fand nach seinem Tod keine Ruhe und enddeckte seinen Leichnam in Byblos. Er wurde dort an Land gepült. Isis rettete daraufhin seine Seele und erweckte Osiris zu neuem Leben. Aus diesem Grund verkörpert Osiris die Auferstehung. Durch die Wiedererstehung ist Osiris zum Fruchtbarkeitsgott gewurden und gilt als einer der wichtigsten Mythen der altägyptischen Religion.
All diese Informationen bewirkten in Jonathan jedoch kein Gefühlt von Erleichterung. Anscheinend hatte sich Jennifer lediglich einige Gedanken zu dieser Gottheit gemacht. Mit Ihrer Entführung hatte dies aber wohl kaum etwas zu tun. Wütend und voller Zorn schmetterte er die Papiere durch den Raum und stieß das Notebook beiseite. Diese Nachforschungen hatten rein gar nichts gebracht. Sie waren in seinen Augen sinnlos und hatten nur wertvolle Zeit verschwendet. Zeit die er in der derzeitigen Situation einfach nicht hatte. Seiner Familie würde vorläufig nichts anderes übrig bleiben als abzuwarten.
Im Gegenüberliegenden Haus hatte der 16 Jährige Ian das Geschehen die ganze Zeit beobachtet. Ian hatte alles gesehen. Die Entführung sowie das Getummel der Leute und die Arbeit der Polizei. Gesagt hatte er jedoch nichts. Ian war ein sehr ruhiger Mensch. Er hatte keine Freunde und verließ das Haus nur, wenn er die Schule besuchen musste. Zu seinen Eltern hatte er ein eher distanziertes Verhältnis. Es gab Tage, da hatte sein Vater ihn als merkwürdig bezeichnet und auf sein Zimmer geschickt. Hier hatte er sein eigenes Reich. Hinter seinem verschlossenem Fenster und den runtergelassenen Jalousien war er in Sicherheit. Abgeschottet von der Welt da draußen. Eine Welt die ihm Angst bereite. Er mochte die Menschen nicht. In seinen Augen waren alle gleich. Es waren für ihn schlechte Menschen. Durch seine Introvertierte Art hatte er sich bei seinen Mitschülern äußerst unbeliebt gemacht. Ungläubige Blicke und herablassende Sprüche gegen ihn. Das war sein Leben. Obwohl die Polizei bereits seit 2 Stunden nicht mehr anwesend war, stand Ian immer noch am Fenster und beobachtete das gegenüberliegende Haus. Nun bewegte er sich vom Fenster weg. Er legte sich aufs Bett und schloss die Augen. Seine Lippen bewegten sich und gaben leise ausgesprochene Worte von sich. Mit jeder Minute sprach er sie lauter aus. Schließlich schrie er sie förmlich aus und schlief mit einem Mal ein. Ians Vater stand vor der Zimmertür und hatte seinen Sohn eine ganze Weile beobachtet. Was für eine Bedeutung hatten die Worte seines Sohnes nur gehabt? Er wiederholte sie und flüsterte vor sich hin: „Osiris wird erwachen“